Geschlechtergerechte Sprache ist eine Utopie

Gendergerechtes Schreiben und Sprechen – für die einen ein Ärgernis, für die anderen eine Selbstverständlichkeit. Längst jedenfalls ist das Gendern Subkulturen und einschlägigen Communities entwachsen. Sosehr, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung letztes Jahr (wenngleich zaghafte) Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Sprache veröffentlicht hat. Das ist umso bemerkenswerter, als der Rechtschreibrat Sprache nicht etwa von oben verordnet, sondern sprachliche Entwicklungen beobachtet und daraus amtlich verbindliche Richtlinien ableitet. Gendergerecht zu schreiben und zu sprechen, scheint uns also tatsächlich ein Anliegen zu sein.

Das belegt auch der Effort der Stadt Hannover. Die Stadt gestaltet ihre Verwaltungssprache seit Anfang Jahr nach einem neuen Leitfaden für geschlechtsumfassendes Schreiben.

Die Empfehlungen der Stadt Hannover enthalten gute Vorschläge für eine geschlechtergerechte Sprache. Die Strategie ist so simpel wie griffig: Verzichte bestmöglich auf Personenbezeichnungen. Dumm nur: Das fördert unpersönliche Bezeichnungen und Passivkonstruktionen. Wer «gut» texten will, dürfte sich mit diesem Nebeneffekt schwertun.

Aber ist es überhaupt möglich, geschlechtergerecht zu schreiben und zu sprechen und dabei konsequent auf personalisierte Personenbezeichnungen zu setzen? Es gibt in der deutschen Sprache zumindest verschiedene – gebräuchliche – Möglichkeiten, bei Personenbezeichnungen das Geschlecht zu spezifizieren und zu verallgemeinern. Nur eine dieser Optionen ist indessen wirklich geschlechtergerecht.

Option 1: Lexem

Wir können das Geschlecht erstens lexikalisch festlegen, also mit dem Wort an sich. Beispiele hierfür sind Mädchen/Junge oder Schwester/Bruder. Die Geschlechtsabstraktionen im Singular und Plural (das Kind / die Kinder bzw. das Geschwister / die Geschwister) sind echte Neutralisierungen des Weiblichen und des Männlichen. Die Spezifizierung/Abstrahierung bevorteilt keines der beiden Genera und ist somit geschlechtergerecht. Schauen wir uns das genauer an:

  • Das Kind (Geschlechtsabstraktion im Singular)
  • Das Mädchen – der Junge (lexikalische Geschlechtsspezifikationen im Singular)
  • Die Mädchen – die Jungen (lexikalische Geschlechtsspezifikationen im Plural)
  • Die Kinder (Geschlechtsabstraktion im Plural)

Und:

  • Das Geschwister
  • Die Schwester – der Bruder
  • Die Schwestern- die Brüder
  • Die Geschwister

Option 2: Differentialgenus und Attribuierung

Zweitens lässt sich das Genus bei Personenbezeichnungen, die aus Adjektiven oder Partizipien abgeleitet sind, mit einem Artikel (im Singular) bzw. mit einem Attribut (im Plural) bestimmen. Derlei Spezifikationen sind unausgewogen, da die Geschlechtsabstraktion im Singular gleich lautet wie die männliche Personenbezeichnung im Singular. Das Männliche ist die Norm, das Weibliche die Ableitung:

  • Der Arbeitslose (Pseudo-Geschlechtsabstraktion im Singular)
  • Die Arbeitslose – der Arbeitslose (Differentialgenus im Singular)
  • Die weiblichen Arbeitslosen – die männlichen Arbeitslosen (attributive Geschlechtsspezifikationen im Plural)
  • Die Arbeitslosen (Geschlechtsabstraktion im Plural)

Bei unbestimmten Personenbezeichnungen (ebenso im Akkusativ Singular) zeigt sich der Genus-Unterschied nicht nur im Artikel, sondern auch in der Substantivendung. Das Resultat ist das gleiche – das Maskulinum ist der Standard:

  • Ein Studierender
  • Eine Studierende – ein Studierender
  • Weibliche Studierenden – männliche Studierende
  • Studierende

Option 3: Attribuierung

Drittens können wir das Geschlecht von Personen sowohl im Plural als auch im Singular attributiv ausweisen. Dieses Vorgehen ist dem Englischen entlehnt und funktioniert darin problemlos:

  • The teacher (Geschlechtsabstraktion im Singular)
  • The female teacher – the male teacher (attributive Geschlechtsspezifikationen im Singular)
  • The female teachers – the male teachers (attributive Geschlechtsspezifikationen im Plural)
  • The teachers (Geschlechtsabstraktion im Plural)

Im Deutschen hat die Sache allerdings einen Haken. Zwar neutralisieren die Geschlechtsabstraktionen die männlichen und weiblichen Ausprägungen tatsächlich. Da Substantive in der deutschen Sprache aber Genus-spezifisch sind (im Unterschied zum Englischen, das kein Substantivgenus kennt), sind die Singularformen durchwegs maskulin konnotiert. Geschlechtergerecht sieht anders aus:

  • Der Lehrer (Geschlechtsabstraktion im Singular)
  • Der weibliche Lehrer – der männliche Lehrer (attributive Geschlechtsspezifikationen im Singular)
  • Die weiblichen Lehrer – die männlichen Lehrer (attributive Geschlechtsspezifikationen im Plural)
  • Die Lehrer (Geschlechtsabstraktion im Plural)

Insbesondere im Satzzusammenhang wird klar, wie sehr Attribuierungen das Weibliche verdrängen und den männlichen Standard zementieren. Während der erste Satz grammatisch korrekt ist, ist der zweite Satz zwar logisch, jedoch ungrammatisch:

  • Der weibliche Lehrer hatte seinen Schüler gelobt (grammatisch korrekt)
  • Der weibliche Lehrer hatte ihren Schüler gelobt (ungrammatisch)

Ausserdem ist absehbar, dass die durchgängige Attribuierung im Alltag – aus sprachökonomischen Gründen, um nicht zu sagen: Bequemlichkeit – erodiert. Die Folge ist eine noch ungerechtere Spezifizierung/Abstrahierung:

  • Der Lehrer
  • Der weibliche Lehrer – der Lehrer
  • Die weiblichen Lehrer – die Lehrer
  • Die Lehrer

Option 4: Suffix

Schliesslich lassen sich Personenbezeichnungen mit einer Silbe am Wortende, einem Suffix, geschlechtlich voneinander unterscheiden. Auch diese Art der Spezifikation ist höchst ungerecht. Sowohl im Singular als auch im Plural ist die Norm – maskulin:

  • Der Busfahrer (Pseudo-Geschlechtsabstraktion im Singular)
  • Die Busfahrerin – der Busfahrer (geschlechtsspezifische Suffigierung im Singular)
  • Die Busfahrerinnen – die Busfahrer (geschlechtsspezifische Suffigierung im Plural)
  • Die Busfahrer (Pseudo-Geschlechtsabstraktion im Plural)

Noch drastischer wird die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern, wenn wir uns Personenbezeichnungen anschauen, bei denen das Femininum nicht nur über das In-Suffix, sondern (teils nur im Singular) zusätzlich über einen Umlaut markiert wird. Dass die Frau die Ableitung, die Beiordnung, das Abnorme ist, wird dadurch umso deutlicher:

  • Der Bauer
  • Die Bäuerin – der Bauer
  • Die Bäuerinnen – die Bauern
  • Die Bauern

Umlaut nur im Singular – im Wortinneren:

  • Der Anwalt
  • Die Anwältin – der Anwalt
  • Die Anwältinnen – die Anwälte
  • Die Anwälte

Umlaut nur im Singular – am Wortanfang:

  • Der Arzt
  • Die Ärztin – der Arzt
  • Die Ärztinnen – die Ärzte
  • Die Ärzte

Lösung Nr. 1: Neutrum aktivieren

Bis auf wortinhärente Geschlechtsunterscheidungen – wir erinnern uns: Kind/Mädchen/Junge – sind in der deutschen Sprache jegliche Personenbezeichnungen diskriminierend. Am ungerechtesten ist die In-Ableitung: Chef/Chefin.

Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch zeigt deshalb verschiedene Möglichkeiten auf, Personen geschlechtergerecht zu bezeichnen. Ihr radikalster Vorschlag ist zugleich der naheliegendste: das Neutrum als Standard installieren. Die Spezifizierung/Abstrahierung sähe dabei für alle Personenbezeichnungen jenseits der geschlechtsspezifischen Substantive wie folgt aus:

  • Das Autor (Geschlechtsabstraktion im Singular)
  • Die Autor – der Autor (Differentialgenus)
  • Die weiblichen Autoren – die männlichen Autoren (attributive Geschlechtsspezifikationen im Plural)
  • Die Autoren (Geschlechtsabstraktion im Plural)

Lösung Nr. 2: Weg mit dem In-Suffix

Etwas weniger weit geht Puschs Empfehlung, das In-Suffix abzuschaffen und dies im Plural mit geschlechtsspezifischen Attributen zu kombinieren. Die Art der Spezifizierung/Abstrahierung bei Personenbezeichnungen, die aus Adjektiven oder Partizipien entstanden sind (die/der Arbeitslose), würde damit auf die übrigen, nicht-wortinhärenten Personenbezeichnungen ausgeweitet:

  • Der Autor (Pseudo-Geschlechtsabstraktion im Singular)
  • Die Autor – der Autor (Differentialgenus)
  • Die weiblichen Autoren – die männlichen Autoren (attributive Geschlechtsspezifikationen im Plural)
  • Die Autoren (Geschlechtsabstraktion im Plural)

Lösung Nr. 3: In-Suffix und Attribuierung

Beide Lösungen griffen in die deutsche Sprache ein und würden einige grammatische Fragen aufwerfen. Insbesondere müsste geklärt werden, wie die neuen Feminina in die verschiedenen Kasus gesetzt würden – im gerechten Zusammenspiel mit den Maskulina.

Eine sowohl grammatisch als auch gesellschaftlich realistischere Option ist laut Pusch die Kombination aus In-Suffix und geschlechtsspezifischen Attributen:

  • Der Autor (Geschlechtsabstraktion im Singular)
  • Die weibliche Autorin – der männliche Autor (geschlechtsspezifische Suffigierung und attributive Geschlechtsspezifikationen im Singular)
  • Die weiblichen Autorinnen – die männlichen Autoren (geschlechtsspezifische Suffigierung und attributive Geschlechtsspezifikationen im Plural)
  • Die Autoren (Geschlechtsabstraktion im Plural)

Das braucht jedoch einige Disziplin. Und so besteht wie bereits bei der reinen Attribuierung (der weibliche/männliche Lehrer) die Gefahr, dass die Attribute entweder bei den männlichen Bezeichnungen oder aber insgesamt unterlassen werden. Die dritte Lösung würde damit auf ein maskulin dominiertes System zurückfallen.

Doppelnennungen: Top oder Flop?

Eine weitere, bereits praktizierte Lösung ist die Doppelnennung mit ihren vielen Spielarten: die Schülerinnen und Schüler, die Maler/-innen, die Patientinnen/Patienten, die Politiker/innen, die PolizistInnen. Gleichwohl gerecht, da sie effektive Geschlechtsabstraktionen sind, sind Splittings einiger Kritik ausgesetzt. Umständlich und wenig sprachökonomisch seien Doppelnennungen. Dem können wir beikommen, indem wir weibliche und männliche Personenbezeichnungen abwechseln und dadurch feminine Formen analog zu den maskulinen standardisieren – etwa so:

  • Die Nachfrage fiel höher aus als im vergangenen Jahr. Das Angebot war gemäss den Branchenexperten leicht zurückgegangen. Insbesondere langjährige Kundinnen schienen darauf reagiert zu haben. Die Expertinnen sprechen von einem bekannten Markteffekt.

Es gibt freilich einen zentralen, sprachfeministischen, Einwand gegen Doppelnennungen und generische Feminina – ja gegen alle In-suffigierten femininen Formen, mögen diese noch so gut gemeint sein. Denn auch sie verhindern nicht, dass diese Feminina Ableitungen von Maskulina sind und bleiben. Hinzu kommt: Wir wollen nicht nur eine zwischen Frau und Mann ausgewogene, sondern eine umfassend gerechte Sprache – die auch weiteren und keinen Geschlechtern einen Platz einräumt. Es braucht deshalb subversivere Lösungen.

Gender-Stern und Gender-Gap – besser nicht

Um jegliche biologischen und sozialen Geschlechter sichtbar zu machen, bieten sich der Gender-Stern oder der Gender-Gap an. Sie sind längst keine Neulinge mehr in der deutschen Sprache. Auch die Stadt Hannover plädiert dafür, den «Genderstar» zu verwenden, um damit Menschen geschlechtsumfassend zu bezeichnen. Der Gender-Stern wird dabei sowohl zwischen den Artikeln als auch zwischen dem maskulinen und femininen Wortende gesetzt. Das sieht so aus:

  • Der*die Ingenieur*in

Mit dem Gender-Gap verhält es sich gleich:

  • Der_die Ingenieur_in

Das ist zunächst in Ordnung. Schauen wir uns die Konstruktionen genauer an, so verlieren sie allerdings ihren Glanz. Erstens reduzieren sie Menschen, die sich nicht in eine binäre Geschlechterlogik einreihen können oder mögen, auf ein Sternchen und – ärger noch – auf eine Lücke. Die Grundformen der Personenbezeichnungen bleiben reserviert für Männer und Frauen. Zweitens verdeutlichen Gender-Stern und Gender-Gap noch rigoroser, dass praktisch alle femininen Personenbezeichnungen eine Abweichung der maskulinen Norm darstellen. Was nun?

Heureka! Neue Substantivendungen

Erneut hat Luise F. Pusch eine treffliche Idee. Sofern wir eine wahrhaftig geschlechtergerechte Sprache wollen, muss auch für das Maskulinum eine Substantivendung her (der Vorschlag geht auf den Sprachforscher Matthias Behlert zurück): -is/-isse. Und damit sich auch queere Menschen über die Grundformen identifizieren können und so mehr sind als ein blosser Stern oder eine Leerstelle, braucht es eine weitere Endung: -il/-ille. Spielt das Geschlecht keine Rolle, entfällt die Endung. Das Ergebnis ist eine rundum gerechte Sprache:

  • Das Autor
  • Die Autorin – der Autoris – das Autoril
  • Die Autorinne – die Autorisse – die Autorille
  • Die Autoren

Matthias Behlert meinte 2011 in einem Interview, er warte seit dreizehn Jahren darauf, dass sich jemand mit ihm in seinem geschlechtergerechten Deutsch unterhalte. Noch heute sind wir weit entfernt von maskulinen und neutralen Substantivendungen. Die geschlechtergerechte Sprache à la Behlert und Pusch ist eine Utopie. Die sich auskennen, wissen jedoch, dass Sprache immer schon wandelbar war. Es lohnt sich also, weiter an eine für alle gerechte Sprache zu glauben!